Gertrud Staewen, geb. Ordemann (* 18. Juli 1894 in Bremen; † 10. Juni 1987 in Berlin) war eine deutsche Fürsorgerin, Erzieherin, Sozialpädagogin und Autorin.
Zeitlebens fühlte sie sich den gesellschaftlichen Außenseitern verpflichtet, sei es ihr Engagement für proletarische Jugendliche in den zwanziger Jahren, für Juden in der Zeit des Nationalsozialismus oder für Gefangene der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel, in der sie nach dem Krieg arbeitete.
Ihre Zeit in der Hufeisensiedlung
Gertrud Staewen zog 1928 zusammen mit ihren beiden Kindern in die Dörchläuchtingstraße 35 und lebte hier bis 1937. Die alleinerziehende Mutter passte mit ihren sozialpolitischen Interessen gut in den Kreis der Bewohner der Hufeisensiedlung, von denen viele Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre waren.
Zunächst versuchte sie über das Schreiben ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. 1933 erschien ihr erstes Buch unter dem Titel „Menschen in Unordnung”, das sich mit sozialen Fragen vor allem der Arbeiterjugend auseinandersetzt. Es dauerte jedoch nicht lange und das Buch wurde von den Nationalsozialisten verboten. Ihre zweite Veröffentlichung „Kameradin. Junge Frauen im deutschen Schicksal 1910-1930” landete sofort nach Erscheinen 1936 auf dem Index.
Ihre Mitgliedschaft in der SPD und ihr Engagement für Neuwerk waren Anlass für mehrere Hausdurchsuchungen durch die politische Polizei. Doch belastendes Material konnte nicht gefunden werden; die Haushaltshilfe von Gertrud Staewen, Wilhelmine Fuss, sorgte einmal unter Vortäuschung „großer Wäsche” noch rechtzeitig dafür, von ihr verfasste Broschüren und Schriften zu verbrennen.
Ihr Widerstand gegen das NS-Regime
Von Anfang an lehnte Gertrud Staewen das NS-Regime ab und war sich über die Ziele der Hitlerdiktatur im Klaren, so auch über die „Judenfrage”.
1941, kurz bevor die Deportationen von Juden in den Osten begannen, wurde Gertrud Staewen von der Dahlemer Gemeinde, zu der sie gehörte, von ihrer Arbeit im Burckhardthaus teilweise zur „besonderen Seelsorge” freigestellt. Sie sollte sich intensiv um die von der Deportation bedrohten getauften „Nichtarier” kümmern, vorrangig um Gemeindemitglieder. Die Arbeit bestand vor allem im Besuchsdienst sowie der praktischen und seelsorgerlichen Unterstützung bis zur Deportation.
Gleichzeitig kümmerte sie sich gemeinsam mit einer Gruppe von Freund*innen illegal um Untergetauchte. Sie organisierte gefälschte Ausweise und versuchte - häufig wirksam - durch Bestechungen Menschen freizukaufen, stahl oder kaufte unrechtmäßig Lebensmittelkarten und leistete Fluchthilfe. In einigen Fällen gelang sogar durch Geldzahlungen die Rettung aus dem KZ. Eine jüdische Ärztin, Luzie Adelsberger, wurde von ihr aus dem KZ, kurz vor dem Tod im Gas, durch Bestechung eines Polizisten freigekauft.
Mit unglaublicher Kreativität entwickelte sie Ideen, mit denen sie Juden zur Flucht verhalf. So sammelte sie eine zeitlang überall Mutterkreuze ein, die Orden Hitlers für kinderreiche Mütter. Viele Frauen gaben diese für gefährdete Jüdinnen her. Einem anderen Juden verhalf sie zur Flucht, indem er einen Trauerfall mimte. So radelte er quer durch Deutschland in die Schweiz, am Lenker einen Trauerkranz, jeden Tag war für ihn ein Onkel im nächsten Dorf gestorben, womit er die Polizisten beeindrucken konnte. In Staewens eigener Wohnung lagen stets Monteursanzüge bereit, damit die Juden, die sie versteckte, bei Besuch als Handwerker auftreten konnten.
Aufgrund einer Denunziation flog die Gruppe im Herbst 1943 auf. Die Freundinnen Helene Jacobs und Melanie Steinmetz sowie einige weitere Helfer wurden verhaftet, Franz Kaufmann wurde ermordet. Gertrud Staewen blieb unentdeckt.
Auszeichnungen für ihr Lebenswerk
Ab 1948 bis zu ihrem Ruhestand 1962 war Gertrud Staewen Fürsorgerin im Männergefängnis Berlin-Tegel und als „Engel der Gefangenen” bekannt.
1958 nahm sie der Berliner Senat in die Liste der „Unbesungenen Helden” auf, eine Würdigung, die Menschen zuteil wurde, die Verfolgte während der Zeit des Nationalsozialismus unterstützt hatten.
1983 erhielt sie das Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland.
Gertrud Staewen starb 1987 im Alter von 92 Jahren in Berlin und liegt (auf eigenen Wunsch) in einem Doppelgrab neben Rudi Dutschke auf dem St. Annen-Friedhof in Berlin-Dahlem begraben.
Quellen:
Museum Neukölln: Das Ende der Idylle? Hufeisen- und Krugpfuhlsiedlung in Britz vor und nach 1933
Voigt, Ulrike: Eintrag: Gertrud Staewen in http://www.Frauen und Reformation.de